Stigmatisierung & Fatsuits – Activ Fitness

Content Warnung: Fatshaming von Fitnessstudio, Fatsuits, Begriffe anhand des BMI, Abnehmen

Als Aktivistin und Mensch glaube ich (Melanie) daran, dass Menschen und Firmen sich weiterentwickeln und lernen können – und wollen. Bis zuletzt habe ich gehofft, dass Activ Fitness, die grosse Fitnesskette aus der Schweiz, aus der ausführlichen Kritik vor zwei Jahren gelernt hat und in der Zukunft bessere Werbung macht.

Leider war diese Hoffnung umsonst.

Am Wochenende vom 5. März hat uns Anais aus der Romandie über die aktuelle Werbung von Activ Fitness informiert. Activ Fitness versucht wieder, mit Fatshaming Profit  zu machen und nutzt damit dicke Menschen als Werbewitz.

Wir waren entsetzt über die Werbung, welche einen Fatsuit benutzt und die Idee vermittelt, dass die gezeigte Person sich dem Fett entledigen und dazu ein Abonnement fürs Fitnesscenter abschliessen soll. Mit dieser Werbung werden verschiedene Stereotypen bedient. Dicke Menschen werden als ein “Vorher” dargestellt und beschämt. Die Idee “In jeder dicken Person steckt eine dünne” wird hier ad absurdum geführt. Auf die statistische Unwahrscheinlichkeit einer solchen Transformation wollen wir hier gar nicht eingehen.

Dieser Blogbeitrag dient als Ergänzung zu den auf Instagram geposteten Stories, soll die Geschehnisse dokumentieren, und nimmt Stellung zur Reaktion von Activ Fitness auf Instagram und in den Medien.

Nachdem uns Anais informiert und in der Romandie die Werbung selbst thematisiert hat, machten wir am 7. März auf Instagram eine ausführliche Story und kommentierten unter dem Instagram-Beitrag von Activ Fitness. In den Stories und Kommentaren bezogen wir uns auch auf die Geschehnisse zur Kampagnen von vor zwei Jahren: 

Im Jahr 2020 machte Activ Fitness über unzählige Plakate, Online-Werbung und auch auf grossflächigen Screens an Bahnhöfen Werbung. Darauf  war eine riesengrosse rote Weihnachtskugel zu sehen. Diese platzt plötzlich theatralisch aus der Form und endet in einer unpersönlichen, dicken und wabbelnden Masse. Mit dem Aufruf “Weg mit dem Weihnachtsschmuck!” oder in der Romandie mit “Au placard la déco de noël” (“In den Schrank mit dem Weihnachtsschmuck”) warb die Activ Fitness AG für den Kauf eines Jahresabonnements.

Vor 2 Jahren haben wir in Zusammenarbeit mit der Romandie und der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung Deutschland auf die sehr problematische Werbung von Activ Fitness reagiert. Da die Activ Fitness AG zur Migros Zürich gehört, haben wir die Migros angeschrieben. Wir haben Statements von Menschen, die diese Plakate stark belasteten, auf Instagram und auf der Website veröffentlicht. Persoenlich.com hat einen Artikel dazu veröffentlicht und wir haben auf verschiedenen Kanälen informiert und argumentiert.

Chefärztin Dr. Dagmar Pauli hat sich in diesem Zusammenhang dazu geäussert, weshalb Werbekampagnen wie diese gerade für Jugendliche sehr gefährlich sind.

Alle diese Informationen und Argumente kennen Activ Fitness und die Migros und ihre Marketing-Abteilungen. Sie können im Bericht “Aktion gegen Gewichtsdiskriminierung” nachgelesen werden.

Zurück zur aktuellen Kampagne im Jahr 2022: Unter dem Instagram-Beitrag von Activ Fitness gab es sehr viel Kritik. Am 9. März teilte Activ Fitness eine “Entschuldigung”, auf welche wir antworteten. Kurz danach löschte Activ Fitness die Instagram-Beiträge und damit die ganze Kritik sowie auch die Entschuldigung von Activ Fitness.

In der Zwischenzeit erhielten wir Nachrichten auf Instagram, E-Mails und lasen Stories von vielen Menschen, die sich direkt an Activ Fitness richteten oder in den Stories ihren Unmut kundtaten. Viele äusserten, dass Activ Fitness für sie als Fitnesstudio nicht mehr in Frage käme. 

Am 22.03.2022 teilte Brandy Butler einen Beitrag zur Werbung von Activ Fitness, welcher eine sehr grosse Reichweite erzielte. Bluewin.ch griff das Thema auf und sprach mit Melanie darüber. Am Donnerstag 24.03.2022 nahm auch Blick.ch das Thema auf.

Abschliessend wollen wir hier auf die gängigen Argumente von Activ Fitness eingehen und Stellung beziehen.

“Wir wollen niemand verletzen…”

Activ Fitness schrieb auf Instagram (inzwischen gelöscht): «Wir möchten an dieser Stelle deutlich machen, dass es nie die Absicht war, mit dem Kampagnensujet übergewichtige Menschen zu verletzen». Den Vorwurf der Grossophobie (Franzöisch für Fatphobia) weise man aber in aller Entschiedenheit zurück.

Unsere Antwort (die wirauf Instagram veröffentlichten und durch Activ Fitness gelöscht wurde):
Wir schätzen es, dass Activ Fitness bei zukünftigen Kampagnen darauf achten will, dass keine Gruppen – insbesondere hochgewichtige Menschen – stigmatisiert werden. 

Dass Stigmatisierung nicht die Absicht der Kampagne war, hoffen wir zutiefst. Nach der bereits ausführlichen Kritik der letzten Kampagne sehen wir allerdings keinen Fortschritt im Marketing. Auch die aktuelle Kampagne ist eindeutig stigmatisierend. 

Das Bild zeigt einen schlanken, trainierten Menschen, der sich eines dicken Körpers ‚entledigt‘ und diesen hinter sich lassen möchte. Das konnotiert dicke Körper als negativ und unerwünscht – was inhärent dickenfeindlich ist. Es gibt hierbei keine andere Interpretation als eine dickenfeindliche. Das gewählte Sujet stigmatisiert dicke Körper als etwas Unerwünschtes. Das ist nicht nur moralisch fragwürdig, sondern sendet in keinster Weise die von Activ Fitness erwünschte Botschaft aus, dass Menschen mit allen Körperformen beim Training willkommen sind.

“Unser grösstes Ziel ist es, mit Hilfe eines aktiven Lebensstils zur körperlichen und geistigen Fitness der Schweizer Bevölkerung beizutragen.”

Am 23.03. schreibt Activ Fitness in der Antwort an Brandy Butler:
“Unser grösstes Ziel ist es, mit Hilfe eines aktiven Lebensstils zur körperlichen und geistigen Fitness der Schweizer Bevölkerung beizutragen. Die Bewerbung von Fitnessangeboten ist allerdings von Grund auf von einem Fokus auf den Körper geprägt, da insbesondere ein Beitrag an die körperliche Gesundheit als Dienstleistung angeboten wird.” Und im Blick.ch heisst es: “Dennoch: Activ Fitness werde in Werbekampagnen auch in Zukunft auf das Thema körperliche Fitness eingehen, «wobei wir bei künftigen Kampagnen noch mehr Rücksicht auf verschiedene Körperformen legen werden», sagt die Sprecherin.”

Wir finden freudvolle Bewegung, Fitness, Tanz und wem es Spass macht auch Training im Fitnesscenter fantastisch. Wir kennen und unterstützen freudvolle, individuelle Bewegung als einen wichtigen Teil der physischen und psychischen Gesundheit von Menschen. Mit der Werbung wird das Gegenteil erreicht. Dicke Menschen werden von Activ Fitness stigmatisiert und die Empfindungen von Menschen mit Körperscham oder einer Geschichte von Essstörungen tendenziell noch verstärkt. Wie wir bereits 2020 mit verschiedenen Statements aufgezeigt haben: viele Menschen werden durch diese Plakate massiv belastet. Je nach Wohnort lässt sich den Plakaten kaum ausweichen.

Wir finden bezahlbare Bewegungsangebote super. Diese müssen sich allerdings von der Werbung über die Leitung und die Mitarbeitenden bis hin zu den Geräten durch und durch gegen Diskriminierung und Bodyshaming einsetzen. Nur dann – und wirklich nur dann – entspricht Activ Fitness dem eigenen Ideal: Die Gesundheit der Bevölkerung zu stärken. Die aktuelle Kampagne führt zu Stigmatisierung, Ausgrenzung, Körperscham und Stress. Und dies nicht nur bei einzelnen Aktivist*innen.

Oder wie wir bereits auf Instagram geschrieben haben: “Würde es Activ Fitness um die Gesundheit der Bevölkerung gehen, hätte die Kette spätestens vor 2 Jahren nach der ausführlichen Kritik in drei Sprachen ihre Werbetaktik überdacht und würde diskriminierungsfreie Werbung und Bewegung für alle fördern.” 

“Corona – Kilos”

In der Antwort an Brandy Butler schreibt Activ Fitness: “Dennoch gilt es zu beachten, dass zahlreiche Studien, die während Corona durchgeführt wurden, gezeigt haben, dass ein signifikanter Teil der Bevölkerung während der Pandemie zugenommen hat und sich wünscht, diese Kilos wieder loszuwerden. Entsprechend widerspiegelt unser Sujet ein echtes Bedürfnis aus der Coronazeit und zudem ein jährlich wiederkehrendes Ziel der Bevölkerung: Abnehmen.”

Studien haben gezeigt, wie stark sich die psychische Gesundheit von Jugendlichen während der Pandemie verschlechtert hat. Die psychologische und psychiatrische Versorgung ist überlastet und es gibt lange Wartelisten. Frau Dr. Dagmar Pauli hat bereits vor 2 Jahren in einem Statement klar gemacht, dass solche Werbungen Jugendlichen sehr schaden. Von Kolleg*innen im Bereich Essstörungen hören wir, dass diese mit Arbeit überschwemmt werden. Studien zeigen auch, dass die Körperunzufriedenheit zugenommen hat. Es geht Activ Fitness nicht um Gesundheit, sonst würden all diese Dinge beachtet werden. Gleichzeitig hat die soziale Ungleichheit zugenommen, und diese Kampagne grenzt dicke Menschen zusätzlich aus, indem diese durch die Kampagne beschämt werden. 

Marginalisierte Personen haben während der Pandemie am meisten gelitten und auf deren Kosten wird jetzt Werbung gemacht. Es gibt unzählige Studien, die aufzeigen, dass Gewichtsstigmatisierung in der Gesundheitsförderung das Gegenteil bewirkt. Menschen werden dadurch nicht gesünder!

Wir sind enttäuscht und müde hinsichtlich der wiederholten Ignoranz und Verletzung durch Activ Fitness gegenüber unserer Community. Werbung geht auch respektvoll, ohne Diskriminierung und Beschämung.

Im Jahr 2020 hat Melanie geschrieben:

Ich bin überzeugt, dass wir mit jedem Mal wenn wir unsere Stimme erheben und sagen: «Wir, die «Durchschnittsadressaten» wollen das nicht!» einen Schritt in die richtige Richtung gehen. Wir – die Bevölkerung – haben es in der Hand, neue kulturelle Normen und Werte herbeizuführen und zu verändern, was in der Werbung als akzeptabel gilt.

Es macht uns grosse Hoffnung und begeistert uns, wie viele Menschen von sich aus laut geworden sind und gezeigt haben: Wir wollen keine solchen Werbung mehr!

Liebe Community, ihr seid grossartig – vielen Dank für all eure Unterstützung!

Ressourcen

Veröffentlicht in News