Over 50 Queen – Edithas Body Story

Illustration by Andrea Vollgas, @vollgasstudio

Story: Editha @over50queen (sie/ihr)

Triggerwarnung: Diäten

Ich war wohl 5 Jahre alt, als mir von meiner Familie, also meinen Eltern und meinen beiden älteren Schwestern klar gemacht wurde, dass mein Körper nicht ideal war.

Ich habe damals gerne Schmelzkäse (Schmierkäse genannt) gegessen. Beim Essen wurde ich damit aufgezogen, vom vielen Schmierkäse essen einen Schmierbauch bekommen zu haben.

Ausserdem wurde mir immer wieder gesagt, dass ich ein Mondgesicht habe und deshalb besser einen Pony trage, um meine zu grosse Stirn zu verstecken.

Ich habe mich immer zu dick und nicht hübsch genug gefühlt. Meine Mutter fand meine Freundinnen schöner als mich. Sie hat andere Mädchen für ihre Locken, ihre hübschen Gesichter, ihre Anmut bewundert. Ich wurde kritisiert. Omas und Tanten haben mich zur Begrüssung in die Wangen gekniffen und gefragt, ob ich dicker geworden sei.

Beim Schulsport habe ich bis zum Schluss auf der Bank gesessen, weil mich keine/r in seiner/ihrer Mannschaft haben wollte. Ich war unsportlich.

Als Jugendliche war ich über jede Aufmerksamkeit von Männern glücklich, weil ich mich unattraktiv fand.

Am meisten habe ich meinen Bauch gehasst. Er war nie flach. Er war immer sichtbar, auch wenn ich bei der Wahl meiner Kleidung sorgsam darauf geachtet habe, ihn zu kaschieren.
Ausserdem mochte ich mein Gesicht lange Zeit nicht und habe mich erst mit ungefähr 40 Jahren getraut, eine Frisur ohne Pony zu tragen.

Ich mochte meine Oberschenkel nicht, weil ich sie als dick und uneben empfunden habe. Mein Kinn war mir zu dick, meine Oberarme auch und meine Hüften waren zu breit.
Geliebt habe ich immer meine Hände und meine Füße. Meine Brüste haben mir immer gefallen und meinen Po fand ich ganz okay.

Vor 5 Jahren habe ich angefangen, strikt low carb zu essen. Dadurch habe ich abgenommen und habe plötzlich kleinere Kleidergrössen getragen. Ich war stolz, hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, mein Gewicht, meinen Körper unter Kontrolle zu haben. Befreit gefühlt habe ich mich trotzdem nicht, habe mich immer noch zu dick und nicht perfekt gefühlt. Ich war abhängig von der Bestätigung durch Männer, die allerdings nicht dauerhaft geholfen hat, mich gut zu fühlen.

Vor ungefähr 2½ Jahren habe ich angefangen, ein Hormonpräparat gegen meine Wechseljahrbeschwerden zu nehmen und habe kontinuierlich zugenommen. Ich habe sehr darunter gelitten und meinen Körper zeitweise gehasst. Ich war in einer neuen Partnerschaft und hatte keine Lust mehr, so strikt low carb zu essen und habe angefangen, mich mit der Diätkultur auseinanderzusetzen. Die Bücher der englischen Feministin Laurie Penny waren eine Offenbarung für mich. Ich habe verstanden, dass ein System hinter der Diätkultur, der Vergewaltigungskultur und der Sexualisierung von Frauenkörpern steckt.

Ich habe aufgehört, mir Frauenzeitschriften zu kaufen. Ich wollte Frauen sehen, die aussahen wie ich, die nicht perfekt waren, die für mich ungewohnt aussahen, weil sie in den Medien nicht zu sehen waren.

Bei Instagram habe ich jede Menge Profile von Frauen gefunden, denen es ähnlich ging wie mir. Es hat mir gutgetan, Fotos von dicken Frauen, von Speckrollen, Cellulite, Dehnungsstreifen etc. zu sehen. Ich nehme mich jetzt anders wahr und andere auch.

Mittlerweile schminke ich mich nicht mehr, trage keine Push-up oder gepolsterten BHs, ich traue mich, Hosen zu tragen, in denen mein Bauch zu sehen ist. Ich bin nicht mehr auf die Bewunderung von Männern angewiesen.

Mein Körper gefällt mir auch so. Nicht immer. Die Hassgefühle sind seltener geworden.

Es tut mir gut, Videos und Fotos von mir bei Instagram zu posten und meine ungeliebten Seiten aus der Distanz zu betrachten. Dadurch kann ich mich mit gnädigeren Augen anschauen und immer mehr Gefallen an mir finden.

Ich bin jetzt über 50 Jahre alt und es macht mich traurig, wie lange die Äusserungen meiner Familie Macht über mich haben. Andererseits bin ich jetzt glücklicher mit mir und meinem Leben als je zuvor und freue mich, dass ich mich immer weiterentwickle. 

Wer weiss was ich mich in 10 Jahren traue?!


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