Bent but not broken – Lea’s Body Story

Illustration von Andrea Vollgas, @vollgasstudio

Story: Lea @lea.s.f (sie/ihr)

“Bent but not broken.” Warum genau dieses Zitat eine so enorme Bedeutung hat, möchte ich gerne mit euch teilen und vielleicht dem einen oder anderen Mut machen und zu verstehen geben, dass man manchmal biegsamer ist, als man vielleicht denkt und nicht so leicht bricht, wie es den Anschein macht.

Diese Geschichte beschreibt eine der grössten Herausforderung in meinem bisherigen Leben, prägte mich und wird für immer ein Teil von mir sein.

Sie beginnt mit der normalen Untersuchung beim Kinderarzt, bevor man die Schule besuchen darf. Doch anstelle einer Routineuntersuchung wurde es zu (m)einem Wendepunkt. Zwar begann alles wie bei den üblichen Vorsorgeuntersuchungen: tief einatmen, tief ausatmen, nach unten bücken, Grösse messen, wiegen… Doch dann erklärte mir, dem Kind, welches voller Vorfreude kaum die Grundschule erwarten konnte, die Kinderärztin, dass etwas mit dem Rücken, genauer mit der Wirbelsäule nicht stimmt und ich lieber einen Orthopäden, also einen Fachmann aufsuchen sollte. Ihr Verdacht fiel auf die Krankheit Skoliose, welche unter anderem auf Grund familiärer Vorbelastungen wahrscheinlich erschien. Diese Diagnose bestätigte auch der Orthopäde und sie war der Beginn einer langen Reise voller Höhen und Tiefen.

Bevor ich jedoch dazu komme denke ich, dass es wichtig ist zu wissen, wovon ich überhaupt spreche. Eine Skoliose ist eine seitliche Verbiegung der Wirbelsäule mit einer dreidimensionalen Drehung von Wirbelkörpern. Das vermindert die Beweglichkeit und führt zu einer bestimmten Körperhaltung. Meist hängt dann eine Schulter tiefer als die andere, das Becken steht schief, das Schulterblatt ragt auf einer Seite weiter heraus und ein einseitiger, sogenannter Rippenbuckel oder Lendenwulst kann sich bilden. Ohne Behandlung ist eine Verschlimmerung im weiteren Wachstum kaum aufzuhalten. Weshalb auch ich vom Arzt Physiotherapie mit Krankengymnastik, manueller Therapie und Chirotherapie verordnet bekam.

Über mehrere Jahre zog sich also beständig die Angst vor Verschlechterung mit gleichzeitiger Hoffnung auf Besserung bei jedem Arztbesuch. Diese Emotionen wurden gepaart mit immer schlimmer werdenden Schmerzen und Migräne-Anfällen. Die Anfälle waren mitunter so stark, dass ich von der Schule abgeholt werden musste, weil ich Kopfschmerzen, Sehstörungen und Übelkeit hatte. Im Laufe der Pubertät und mit Behandlung der Skoliose verbesserte sich jedoch auch die Migräne. Das Gefühl, meinem eigenen Körper ausgeliefert zu sein, nahm ab.

Doch der Weg durch die Pubertät war neben den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens mit einer anderen Sache verbunden: mit meinem Korsett.

Im Herbst 2014 stiess selbst mein Orthopäde zuhause an seine fachlichen Grenzen und verwies mich an eine 150 Kilometer entfernte Fachklinik. Meine Thorakalskoliose war zwar relativ langsam und unauffällig vorangeschritten, nun aber trotz Therapie zu besagtem Zeitpunkt bei einem Cobb-Winkel von 28° angelangt.

Als wir die Klinik betraten, fühlte ich mich zum ersten Mal krank und zerbrechlich. Dieses Gefühl verschwand auch nicht beim Verlassen, denn nun wusste ich – ich bekomme ein Korsett. Ein Korsett aus Kunststoff, speziell für mich und meinen Rücken angefertigt, welches ich 18 Stunden am Tag tragen soll und eigentlich nur zum Duschen und Sport ablegen darf. Die Anprobe fand im Januar 2015 statt und ich weiss noch ganz genau, dass ich bis dahin optimistisch war. Doch als ich nicht einmal selbst von der Liege aufstehen konnte und ich mich im Spiegel sah, waren meine ersten Gedanken: „Du bist ein Krüppel. Du bist anders. Du bist nicht schön – du bist schief.” Doch ich sah auch im Spiegel meine Eltern, die mich bis hierhin begleitet hatten und ich hatte die Gewissheit, dass sie es weiterhin tun würden, denn ich bin ihr Kind und für sie bin ich immer schön.

Ich gewöhnte mich also aus dieser Motivation heraus an meinen Begleiter aus Plastik. Innerhalb von drei Tagen hatte ich die geforderte Tragezeit erreicht und konnte sogar schon relativ gut mit dem Korsett schlafen. Die ersten Tage in der Schule waren schwierig. Es war vor allem unbequem, so lange zu sitzen und stillzuhalten. Oft schlief mir zuerst der Rücken und anschliessend die Beine ein. Doch die Lehrer waren sehr umsichtig – ich durfte zu jederzeit den Unterricht verlassen, um mich zu bewegen. Und auch für meine Klassenkameraden war ich immer noch Lea, jetzt bloss als Ninja Turtle und mit besonderem Schutz vor Kitzel-Attacken. In der ersten Woche hielt ich in Biologie einen Vortrag über Skoliose und erklärte meinen Mitschülern, dass ich nun ein Korsett tragen muss. Wohl deshalb und auch wegen meiner Offenheit und meinem zurückgewonnenen Optimismus hatte ich zum Glück nie Probleme mit Mobbing oder ähnlichem. Häufig trug ich mein Korsett über der Kleidung und fühlte mich mehr als wohl.

Das war nun ich und ich war gut genug!

Schmerzen gehörten für mich dazu und signalisierten mir, dass das echt ist – dass sich etwas ändert. An diese Art von Schmerz gewöhnte ich mich und lernte, damit zu leben und umzugehen. Begleitend zur Korsett-Therapie fuhr ich jeweils einmal pro Jahr zur Kur. Die Menschen, die ich an diesem Ort kennenlernte, gaben mir Kraft und Mut. Neben einer Menge Erfahrungen fand ich Freunde fürs Leben. Hinter all diesen positiven Dingen war jedoch immer in meinem Hinterkopf der Gedanke, dass wenn das Korsett nicht hilft, ich bald im OP-Saal liege und meine Wirbelsäule teilweise oder ganz versteift wird. Oft lag ich Nachts wach und habe meinen Körper dafür verdammt, dass er mein Körper ist. Ich habe das Korsett gehasst, ich habe die Druckstellen gehasst, ich habe den Sommer gehasst, weil es so warm war unter der Plastikschicht, ich habe meine Ärzte gehasst. Kurz: Ich habe mich gehasst. 

Doch am nächsten Morgen bin ich aufgestanden und habe weitergemacht. Ich habe weiter gekämpft und wollte nicht wie bei den Migräne-Anfällen meinem eigenen Körper ausgeliefert sein. Ich wusste, ich kann nicht bestimmen, wie sich meine Wirbelsäule formt, aber ich kann etwas dazu beitragen. Und das tat ich. Ganze 5 Jahre lang. Bis Ostern 2020. Wo meine Körper-Geschichte noch kein Ende findet, aber ein Teil der Rücken-Geschichte schon. Ich habe mein Korsett am 10.04.2020 für immer abgelegt und bin mehr als stolz auf mich und meinen Körper. Wir sind nun ein Team, welches zusammenarbeitet und miteinander einhergeht. Mich gibt es nicht ohne meine Skoliose und auch nicht ohne die Schmerzen, denn durch diese habe ich gelernt, dass ich zwar gebogen bin und es auch immer sein werde, aber auch weiss, dass mich nichts brechen kann.

Besonderen Dank widme ich meinen Eltern, die mich unterstützten und immer versucht haben, diese Zeit so einfach wie möglich für mich zu machen.
Oma und Opa, die oft die Strecke zur Klinik fuhren, dort die Zeit wunderschön machten und anschliessend mit mir Essen gingen.
Meinen Freunden, die mich von Schmerzen ablenkten und mich einfach so akzeptierten.
Jedem da draussen, der sich meine Geschichte durchgelesen hat und dem ich etwas Mut machen konnte, die guten – aber auch die schlechten Zeiten zu akzeptieren und Vertrauen in seinen eigenen Körper und sich selbst zu haben.

Und natürlich danke ich meinem Körper, der nicht unter den Lasten zerbrach – mich im Gegenteil stärker und letztendlich zu dem Menschen machte, der ich heute bin.


Wenn dir die Body Stories gefallen und du keine verpassen möchtest, melde dich für unseren Newsletter an.
Möchtest du wissen, wie du deine Body Story mit uns teilen kannst? Dann schreibe eine Email an Andrea.