Body Respect Day 13. März 2022

Am 13. März 2021, dem Body Respect Day, wurde Body Respect Schweiz gelauncht. Ein Jahr später durften wir unseren 1. Geburtstag feiern.

Wir wollten uns von der Pandemie nicht die Laune verderben lassen und haben für unsere Community ein Online-Programm mit verschiedenen Gäst*innen zusammengestellt, die im Gespräch mit Melanie ihre Perspektive mit uns teilten.

Self-Care im Aktivismus mit Anna Rosenwasser

Am Nachmittag sprachen Melanie und die queerfeministische Aktivistin Anna Rosenwasser über Self-Care im Aktivismus. Anna ist seit längerem eine grosse Unterstützerin von Body Respect Schweiz. Warum? Sie vermisse das Thema im Feminismus ein bisschen, meinte Anna. Das Thema sei nicht präsent genug und werde oft noch unterschätzt. «Wenn wir über das Thema Körpernormen reden, dann hören wir oft Leuten zu, die nicht dick sind. Was okay ist. Aber es fehlen in meinen Augen dicke Menschen innerhalb der Diskussion um Körper-Respekt. Und das kann nicht sein, das ist so nicht richtig.» Das sei einer der Gründe, warum sie den Verein von Anfang an intensiv unterstützt habe. Sie selbst lerne durch die Posts von Body Respect Schweiz viel dazu, da ginge ihr immer wieder ein Licht auf: «und da sind ich noch sehr viele Lichter, die noch viel heller angehen können».

Anschliessend sprachen Melanie und Anna über das Thema Self-Care und teilten, was Selbstfürsorge für sie persönlich heisst. Anna beispielsweise trug zum Body Respect Day ihren Onesie. Auch Melanie betonte, wie wichtig es sei, Kleidung zu tragen, in der sie sich wohlfühlt – zum Beispiel den farbigen Pyjama, den sie zum Austausch mit Anna trug. Auch sich zu schminken und hübsch anzuziehen könne an gewissen Tagen Self-Care sein, so Anna. Dennoch machte Anna deutlich: «Self-Care ist eine feministische und antikapitalistische Praxis». Grenzen zu setzen, zu kommunizieren und die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen, sei dabei zentral. Beim Thema Grenzen setzten empfahl Anna den Zuhörenden ein Buch, aus welchem sie verschiedene Inputs mit uns teilte. Etwa dass Grenzen nicht begründet werden müssen. Wir seien ja schliesslich nicht auf einem Flohmarkt, wo wir die Grenzen eines Menschen verhandeln. Und mit Nachdruck fügte Anna hinzu: «Du bist nicht die letzte Priorität». 

Wichtig sei bei Self-Care auch zu reflektieren, dass in unserer Welt unterschiedlichen Self-Care Bedürfnissen unterschiedlicher Wert zugemessen werde. Manche entsprächen einer Norm, während andere gar belächelt würden. In diesem Zusammenhang zeigte uns Anna lachend ihr Stickeralbum, welches eines ihrer persönlichen Self-Care-Highlights sei. Aber es entspreche eben nicht der gesellschaftlichen Norm, sich als erwachsener Mensch am Umsortieren eines Stickeralbums zu erfreuen. Wenn wir uns von diesen Normen lösen könnten und wirklich anerkennen würden, was uns Freude macht, kämen wir näher an das, was uns wirklich guttut, so Anna.

Anna Rosenwasser (unten rechts) mit dem Body Respect Schweiz Team

Mit Verweis auf das Buch «Die Erschöpfung der Frauen» von Franziska Schutzbach sprachen Melanie und Anna auch über den Drang zum Perfektionismus, dem insbesondere Frauen unterliegen. «Es wird uns beigebracht, wie wir uns fertig machen, aber nicht wie wir uns wertschätzen», meinte Anna. Es sei aber eine schlechte Basis, wenn wir uns für den Drang nach Perfektion schämen würden. Auch hier gelte es, für sich selbst Verständnis zu haben. Anna übe, mittelmässig zu sein und sich dies zu erlauben. An dieser Stelle hob Melanie die offensichtlichen Parallelen zur Diätkultur hervor, die ebenfalls Perfektionismus und Leistung von uns verlangt.

Im abschliessenden Q&A teilten Anna und Melanie verschiedene Ressourcen zu den angesprochenen Themen mit uns (siehe unten) und beantworteten Fragen zu den Themen Self-care, Grenzen setzen und Perfektionismus. Dabei teilte Anna eine abschliessende Weisheit mit uns: Dass Sensibilität als etwas Negatives, Schwaches gesehen würde, sei enorm patriarchal: «Sensibel zu sein ist etwas Wunderbares. Unser Bauchgefühl ist für uns die zuverlässigste Quelle dafür, was für uns richtig ist».

Als zweite Gäst*in bereicherte Sara Ablinger den Body Respect Day

Sara M. Ablinger (she/they) ist mit Big Body Love seit 2016 selbstständig und bietet 1:1 Körperarbeit und Workshops zu den Themen Body Positivity, Radical Self-Care, Konsens und Kommunikation, Intimität und Sexualität an. Sie schafft Räume für Empowerment und Authentizität, Sinnlichkeit und Lust, oft mit einem Schwerpunkt auf marginalisierte wie queere, dicke und behinderte Körper.

Sara und Melanie sprachen über Pleasure und Self-Care. Zu Beginn erzählte Sara, wie für sie ein typischer Self-Care-Morgen aussieht. Vom Aufwachen ohne Wecker mit Blick in die Natur über frische, gut riechende Bettwäsche und Masturbation bis hin zu Frühstück im Bett und ein Tag komplett ohne ToDos. Einen «Schlaftag» nenne sie dies gerne.

Warum sich Sara in ihrer Arbeit auf dicke Menschen fokussiert? Es habe ihr immer wieder weh getan und sie traurig gemacht, wenn sie von hochgewichtigen Menschen höre, dass sie nicht in der Lage seien, sich selbst zu berühren, zu «be-greifen» oder von anderen Menschen berührt zu werden.

Ursprünglich aus der historischen Genderforschung kommend, wollte Sara nicht mehr nur über aktivistische Themen sprechen und schreiben, das sei ihr zu wenig gewesen. Das Bedürfnis wuchs, gemeinsam mit anderen den dicken Körper auch tatsächlich zurückerobern. Im Weiteren hätten dicke Menschen auf der Ebene des Nervensystems aufgrund vielfältiger Diskriminierungserfahrungen ein kollektives strukturelles Trauma, das nicht zu unterschätzen sei. In ihrer Arbeit sei es deshalb zentral, die hochgewichtigen, queeren, sich in Transitionen befindlichen Körper zu berühren und eben nicht zu kommentieren und nicht in Frage zu stellen, sondern ihnen Wertschätzung zu geben.

Sara Ablinger (unten links) mit dem Body Respect Schweiz Team

Was Pleasure für Sara mit Aktivismus zu tun habe, fragte Melanie. Auf einer individuellen Ebene gehe es vor allem darum, sich Zeit und Raum für Lust und Regenration zu nehmen, um die eigenen Energiereserven wieder aufzufüllen, die es für Aktivismus braucht. «Und das ist nicht nur der Aktivismus auf die Strasse zu gehen oder Dinge zu organisieren oder meine Arbeit zu machen, sondern das heisst für mich als fette Frau tatsächlich auch, einfach zu existieren in meinem Körper. Und so liebevoll und angenehm wie möglich innerhalb der Strukturen, in denen ich mich bewege, zu leben.»

Sara erläuterte, dass wir in einer Gesellschaft leben, die dicken Menschen konstant versucht zu sagen, warum sie sich nicht gut genug bemühen würden, wertvolle Menschen zu sein. Und in solch einer Gesellschaft zu sagen «fuck it, ich bin ein wertvoller Mensch, ich hab’ genauso das Recht, dass es mir gut geht», und nicht nur das Mindeste zu akzeptieren, sei ein radikaler Akt:

«Sondern sich einfach Raum in der Welt zu nehmen, wie andere Menschen auch. Und den Raum so bunt und lustvoll wie möglich zu gestalten. Und auch zu sagen «ok, ich zelebriere Bewegung, die mir Spass macht. Ich zelebriere Körperkontakt, der sich schön anfühlt. Ich zelebriere auch das Essen, das ich geniesse. Das ist einfach eine mega radikale Geschichte, jeden Tag aufs Neue aufzustehen und zu sagen: ich habe ein Recht darauf, dass das Leben schön ist für mich. Ich muss mich nicht mit dem ganzen Scheiss zufriedengeben. Sondern ich habe genauso ein Recht auf das perfekte geile Leben wie alle anderen auch».

Sara hatte auch konkrete Tipps parat, wie sich im Alltag Self-Care und Pleasure umsetzen lassen. Das sei beispielsweise, sämtliche Spiegel zu entfernen oder abzudecken, und sich ganz auf das eigene Körpergefühl statt aufs Spiegelbild zu konzentrieren. Auch sich fürs Eincremen des Körpers mit gutem Öl und gemütlich sitzend oder liegend im Schlafzimmer auf einem sauberen Tuch Zeit und Raum zu nehmen. Für ein in-sich-Hineinspüren zwischendurch eigne es sich auch, einfach einmal die Schultern hochzuziehen und sie mit lautem Ausatmen fallen zu lassen.

Zum Abschluss führte Sara mit uns eine Big Body Love-Meditation durch, welche die Teilnehmenden sehr berührte, und im geschützten online-Raum ein paar Tränen fliessen konnten. Danke Sara, für diese wunderbare Erfahrung!

Body Respect Pyjama-Feier

Am Abend stand schliesslich die gemütliche Pyjama-Geburtstagsfeier an. Das Body Respect-Team feierte zusammen mit einigen aktiven Mitgliedern der Community das einjährige Bestehen von Body Respect Schweiz. Nach einer kleinen Vorstellungsrunde blickte das Team anhand einer kleinen Präsentation auf das letzte Jahr zurück: 12 online-Events mit 4 Gäst*innen, über 1600 Instagram-Follower, fast 20 Medienberichte und 19 Blogposts sind unsere Bilanz, auf die wir erfreut und ziemlich stolz zurückblicken.

Nach dem Rückblick teilten Melanie, Sandra, Amanda, Elisa und Wanda vom Body Respect-Team ihre ganz persönlichen Highlights in der Zeit bei Body Respect Schweiz und äusserten Wünsche und Vorstellungen für die Zukunft des Vereins. Anschliessend kamen die Mitglieder der Community zu Wort und erzählten, was sie sich von Body Respect Schweiz für die Zukunft wünschen und welche Ideen sie hätten. Der Abend endete schliesslich in einem gemütlichen Austausch und zufriedenen Gesichtern.

Wir von Body Respect Schweiz bedanken uns von ganzem Herzen bei unseren grossartigen Gäst*innen und allen anwesenden Mitgliedern der Community für diesen schönen ersten Geburtstag, die wunderbaren Inputs, die spannenden Fragen, das Teilen von persönlichen Geschichten und für die grossartige Unterstützung im letzten Jahr und in eine spannende Zukunft hinein.

Ressourcen