Der Zugang zu Plus Size Kleidung in Bern wird immer schlechter

Benjamin Romero, capturenow

Vor einigen Wochen war ich (Melanie) zum Einkaufen in Bern und habe mir zwei Sommerblusen bei C&A gekauft. Beim Bezahlen informierte mich die Verkäuferin, dass es im Geschäft spätestens ab Herbst keine Plus Size Frauenmode mehr zu kaufen geben wird, sondern diese dann nur noch online bestellbar sei. Plus Size Männergrössen seien bereits nicht mehr im Laden erhältlich.

Einen Tag später teilte ich dies auf meinem persönlichen Instagram-Profil und die allgemeine Reaktion war Frust, Wut und Trauer. Noch weniger Möglichkeiten, als dicke Person einzukaufen!

Im Vergleich zu früher haben dicke Menschen heute durch Online-Shopping mehr Zugang zu Plus Size-Kleidung. In den Geschäften vor Ort hat sich das Angebot jedoch massiv verschlechtert. Vor einigen Jahren gab es zum Beispiel noch H&M, in Bern ebenso eine Boutique beim Zytglogge, welche die Marke Samoon anbot, sowie die Boutique Marina Rinaldi (Luxusmarke). Heute gibt es nur noch C&A und Ulla Popken. Ab Herbst offenbar nur noch Ulla Popken.

Ulla Popken verkauft im Geschäft leider eher klassische Modelle – dennoch bin ich dankbar, dass es ein Geschäft gibt, wo ich jederzeit kurzfristig eine Leggings kaufen kann. 

Ulla Popken ist im Vergleich zum C&A aber wesentlich teurer. Eine Jeans bei UP gibt es ab 89.95 Franken, bei C&A ab ca. 49.95. Bei einer Leinenbluse sieht das ähnlich aus. UP ab 75 Franken, C&A ab 45.95. Abgesehen davon ist Plus Size Kleidung oft ohnehin bereits teurer als straight size Kleidung (ja, auch als die trendigen “oversize”-Modelle).

Das bedeutet, dass Plus Size-Kleidung demnächst noch schlechter erhältlich und noch teurer wird. Für dicke Menschen hat dies weitreichende Konsequenzen: Kurzfristig professionelle Klamotten für ein Bewerbungsgespräch besorgen? Bei knappem Budget unmöglich, auch mit gutem Budget immer noch schwierig. Ein günstiges weisses Shirt für den feministischen Streik? Nicht erhältlich!

Von der Politik wird das Problem ausgeblendet. In einer Interpellation im Parlament fragte die Genfer SP-Nationalrätin Laurence Fehlmann Riell: “Sollten Bekleidungsmarken nicht auch dafür sensibilisiert werden, alle Arten von Körpern anstatt nur die schlanken und makellosen von Mannequins zu zeigen?”

In der Antwort heisst es: “Der Bundesrat wie auch die ALLOB* sind der Ansicht, dass der Markt für grosse Grössen bereits sehr gut aufgestellt ist.”

Dem widersprechen der Verein Body Respect Schweiz und ich in aller Deutlichkeit. Die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Kleidung in grossen Grössen ist absolut ungenügend, speziell für marginalisierte Menschen. Dicke Menschen werden dadurch immer weniger Teil der Bevölkerungsvielfalt in den Schweizer Innenstädten – und damit noch unsichtbarer gemacht. Wir sind es verdammt noch einmal leid, selbst im Jahr 2023 nur Accessoires und Schuhe kaufen zu können!

Ein Community-Mitglied schrieb mir auf Instagram:

Mir hat eine Verkäuferin im C&A Bern erklärt, das Ganze sei nur zu unserem Vorteil. Wir hätten online viel mehr Auswahl als im Geschäft vor Ort, und wir würden uns ja sicher zu Hause wohler fühlen bei der Anprobe. Ich war so perplex, dass ich gar nichts dazu sagen konnte… so eine Frechheit. Ich entscheide gerne selber, ob ich vor Ort oder online einkaufe und lasse mich ungern bevormunden!

Community-Mitglied auf Instagram

Zudem ist Online-Shopping oft frustrierend: Weder die Qualität des Stoffs, dessen Verarbeitung noch die Passform an einer dicken Person ist ersichtlich. Dies führt dazu, dass ich in der Regel 80% eines Pakets wieder zurückschicken muss, was für niemanden ressourcenschonend ist. Oft kommt tolle Mode aus dem Ausland und ist nur über “Langstreckenversand” bestellbar, was hohe Kosten für Zoll und allenfalls Rücksendungen verursacht. Abgesehen davon sind diese Optionen für Menschen ohne Kreditkarte oder mit finanziellen Problemen nicht zugänglich. Auch wer aufgrund von Neurodiversität Mühe hat, Pakete rechtzeitig zu packen und zurückzuschicken, findet hier Stolpersteine vor. 

Wir benötigen Kleidung! Kleidung ist ein Grundbedürfnis und es macht hässig, dass Kleidergeschäfte wie C&A dicke Kund*innen einfach ins online-Business auslagern und damit faktisch als im Geschäft unerwünscht deklarieren dürfen. Andere Geschäfte wie Globus hatten – zumindest seit ich shoppen gehe – noch nie Plus Size Labels im Geschäft.

Bist du auch hässig? 

Teile unseren Blog und Instagram-Beitrag. Schreib uns einen Kommentar mit deinen Erfahrungen und deinen Anliegen. Sprich mit Politiker*innen, schreib Rückmeldungen an die Modegeschäfte. Du hast das Recht auf passende, modische und erschwingliche Kleidung.


* Der Bundesrat sieht die ALLOB “Allianz Adi*osi*as Schweiz”, als diejenige Institution, welche für Menschen mit “Adipositas” einsteht. Die ALLOB wird vom Bund finanziell unterstützt. Wir sehen in der ALLOB keine Vertretung unserer Anliegen und beurteilen diverse ihrer Anstrengungen sehr kritisch. Weltweit eignen sich viele “Adipositas”-Organisationen und Pharmafirmen gerade die “Weight Stigma”-Sprache an und verwässern damit aktivistische Bemühungen oder geben sie falsch weiter.


Update 09.06.2023

Heute veröffentlichte 20min.ch einen Artikel zu C&A und dem Plan, die XL-Abteilung zu schliessen. Wir von Body Respect Schweiz sind NICHT erfreut, wie es in der Schlagzeile heisst, sondern maximal verwirrt bezüglich der Kommunikation von C&A und wir fragen uns, ob es überhaupt eine klare Strategie gibt und wie diese aussehen soll. Wir wünschen uns klare Kommunikation und erwarten, dass sich das Angebot der grossen Grössen vor Ort mindestens nicht verschlechtert. Wir sind offen für ein Gespräch mit der Leitung von C&A in Bern.
(Update, der Titel des Artikels wurde am Nachmittag korrigiert. Von “XL-Kollektion gibts nur noch online, warum das Aktivistinnen freut” zu “Enttäuschte Plus-Size-Aktivistinnen – XL-Kollektion verschwindet ins Netz”).

Unser Statement fasst unsere Haltung gut zusammen:

Und auch Melanie Dellenbach hält im Namen von «Body Respect Schweiz» fest: «Wir würden es selbstverständlich begrüssen, wenn die reguläre Kollektion um grössere Grössen erweitert wird und Kleidung für mehrgewichtige Menschen nicht mehr separiert angeboten wird.» Sie hebt jedoch hervor: «Welche Grössen ins Sortiment integriert werden sollen, wird aus dem Statement von C&A allerdings nicht ersichtlich.» Der Verein fordere, dass wie bis anhin Kleidung bis Grösse 58 angeboten werde. Ausserdem wäre es wünschenswert, wenn die Mitarbeitenden korrekt informiert werden würden, «um Fehlinformation in Zukunft zu vermeiden».

20MIN.CH 09.06.2021

Link zum Artikel: https://www.20min.ch/story/xl-kollektion-gibts-nur-noch-online-warum-das-aktivistinnen-freut-267321683854

Auf unserem Instagram Account haben wir viele Kommentare erhalten, vielen Dank. Hier eine kleine Auswahl:

“Ich war grad gestern im C&A City – nix von wegen grosse Grössen. Die Person vor Ort sagte, sie hätten nix mehr im Laden, nur noch online. Ich: „Das ist diskriminierend und ich würde die Kleidung gerne in einem Geschäft bezüglich dem Material anfassen und vorher probieren.“ Sie meinte: „Sie auch, aber sie könne nichts tun“, und zog die Schultern hoch.”

“Das gleiche im Sihlcity in Zürich… habe dort auch nachgefragt und gesagt ich will nicht online bestellen, sondern im Geschäft Sachen anprobieren können, wie alle anderen auch 😤🤬 Sie meinten dann, der grosse @ca Store in Zürich City hätte die Grosse Grössen Abteilung im Moment noch. Wow, Danke ☹️ Es gibt kaum etwas Degradierenderes als über unseren eigenen Bedürfnisse, so übergangen zu werden. Die Botschaft ist sehr klar, Menschen zweiter Klasse.”

“Aber nicht nur C&A auch Manor Coop City und und und es ist überhaupt schwierig tireckt in einem Laden etwas für grössere Leute zu kaufen 😔 schauen ja kaufen nein🥹so schade denn ich gehe eigendlich sehr gärne mit Freundinnen einkaufen ich kann aber halt fast nie was kaufen zum anziehen😏”